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Gründe für den "Brexit"

PR dla Zagranicy
Joachim Ciecierski 23.06.2016 09:36
Das heutige Referendum über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union ist das Hauptthema in der polnischen Presse. Alle großen Tageszeitungen widmen dem „Brexit“ gleich mehrere ausführliche Artikel.
 Foto: PAP/EPA/LAURENT DUBRULE Foto: PAP/EPA/LAURENT DUBRULE

Rzeczpospolita: Angst vor Immigration als Grund für den Brexit

Die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita beleuchtet in einer Reportage ausführlich die Motive der Brexit-Befürworter. Sollten die Briten heute für den Austritt ihres Landes aus der EU stimmen, so werde das vor allem an der Angst vor der Massenimmigration liegen, so die Zeitung Rzeczpospolita.

Als Beispiel führt sie den Londoner Stadtteil East Ham an. Dort würden nur noch vereinzelt Briten ohne Migrationshintergrund leben, der Großteil der Einwohner des Stadtteils komme aus solchen Ländern wie Indien, Pakistan, Sri Lanka, Kenia und auch aus Osteuropa, darunter Polen. Fast alle Einheimischen, die es sich leisten konnten, seien schon vor Jahren in bessere Gegenden umgezogen. East Ham zeige die Probleme bei der Integration verschiedener Ethnien und Nationalitäten. Viele der Einwohner des Stadtteils würden nur gebrochen Englisch sprechen, selbst wenn sie schon vor Jahrzehnten nach Großbritannien gekommen sind. Die einzelnen Ethnien würden isolierte Gruppen bilden, anstatt sich zu vermischen. Auf den Straßen sei es vor allem abends und Nachts nicht sicher, nirgends würden die öffentliche Verwaltung, die Krankenhäuser und Schulen schlechter als hier funktionieren, schreibt die Rzeczposolita.

East Ham stehe exemplarisch für die Entwicklungen in vielen Teilen Londons und in ganz Großbritannien. Die Befürworter des Brexits würden vor allem die Probleme mit der Immigration ins Feld führen, um die Briten auf ihre Seite zu ziehen. Doch ob ein EU-Austritt Großbritannien tatsächlich zu einer Drosselung des Einwandererstroms führen würde, sei äußerst fraglich, so die Zeitung Rzeczpospolita.

Dziennik Gazeta Prawna: Was kommt nach dem Brexit?

Auch in der Zeitung Dziennik Gazeta Prawna wird der mögliche Austritt Großbritanniens aus der EU ausführlich kommentiert.

Die Brexit-Abstimmung zeuge von einer tiefen Krise der Europäischen Union, schreibt der Chefredakteur der Zeitung, Krzysztof Jedlak, in seinem Kommentar. Die Migrationskrise und außerordentliche politische und finanzpolitische Maßnahmen würden EU-Skeptiker in allen Mitgliedstaaten stärken. Doch auch wenn die Briten heute für den Brexit stimmen, bedeute das noch nicht das Ende des europäischen Einigungsprojekts.

Großbritannien sei niemals ein integraler Bestandteil dieses Projekts gewesen, sondern habe Bewußt die Rolle des Außenseiters angenommen. Auch die wirtschaftlichen Konsequenzen würden wohl weniger dramatisch ausfallen, als von vielen Experten prognostiziert. Großbritannien werde sich wohl kaum mit einer Mauer von der EU abgrenzen, die Handelsbeziehungen zwischen den Inseln und dem Kontinent würden wohl einigermaßen normal weitergehen.

Wie immer unberechenbar sei natürlich die vorrausichtlich panische Reaktion der Finanzmärkte, auch die Konsumenten und die Wirtschaft könnten verunsichert werden, schreibt Jedlak.

Für Polen sei der Verbleib Großbritanniens in der EU natürlich am vorteilhaftesten. Nicht nur aus politischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. So seien etwa die Transferzahlungen polnischer Auswanderer in Großbritannien ein wichtiger Faktor in der Zahlungsbilanz Polens, schreibt der Chefredakteur der Zeitung Dziennik Gazeta Prawna.

Gazeta Wyborcza: Stummer Dialog zwischen Polen und Deutschland

Die linksliberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza widmet sich heute in einem Kommentar den Beziehungen zwischen Polen und Deutschland.

Aus Diplomatenkreisen heiße es, man sei um eine „gute Atmosphäre“ bemüht, schreibt Redakteur Bartosz T. Wieliński im Hinblick auf die deutsch-polnischen Konsultationen und das Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Premierministerin Polens Beata Szydło. Doch davon, dass es um die Beziehungen beider Länder nicht zum Besten bestellt ist, zeuge allein die Tatsache, dass die Regierungen keine gemeinsame Erklärung veröffentlich haben, anders als das bei vorherigen Konsultationen der Fall gewesen sei.

Während in den vergangenen Jahren große strategische und geopolitische Themen auf der Agenda gestanden hätten, seien die Themen bei den diesjährigen Ministertreffen von relativ geringem Rang. Ein gemeinsames deutsch-polnisches Geschichtsbuch und der gemeinsame Bau einer Schule für syrische Flüchtlinge seien etwas wenig für die Regierungskonsultationen zweier großer europäischer Länder, so Wieliński.
Polen habe sich im Grunde genommen aus der Diskussion mit Deutschland über Europa zurückgezogen. Außenminister Witold Waszczykowski habe vor kurzem öffentlich verlautbart, dass das sogenannte Weimarer Dreieck, also die Regierungskonsultationen zwischen Frankreich, Deutschland und Polen, sinnlos sei.

Zwischen Deutschland und Polen gebe es vieles zu besprechen, Man könne sich aber nicht des Eindrucks erwehren, dass Regierungschefin Beata Szydło nur nach Berlin gereist ist, um ihren Wählern zu zeigen, dass Polen in Europa nicht isoliert ist. Ein wirklicher Dialog würde aber nicht stattfinden, so Bartosz T. Wieliński in der Gazeta Wyborcza.

Filip Żuchowski

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